Wie wir leben wollen
Die Krisen dieser Zeit haben geradezu dramatisch zu erkennen gegeben, wie abhängig wir voneinander sind. Sind wir den veränderten Zeiten gewachsen? Besorgniserregend ist die Tatsache, dass immer weniger Menschen der Politik eine positive Zukunftsgestaltung zutrauen.
Die drängende Frage, wie kann diese Welt insgesamt zukunftsfähiger werden, entscheidet sich in den Städten und Gemeinden, wo die Bürger zu entscheidenden Akteuren und die Orte zu werkmächtigen Räumen werden, wo die Menschen ihre Heimat haben, die Verbundenheit, Sicherheit und Selbstwirksamkeit gibt. Heimat ist eine der mächtigsten menschlichen Wirklichkeiten. Heimat ist nicht der Traum von der guten alten Zeit, sondern eine prägende Kraft. Heimat bedeutet ein Leben aus geistigen Kräften der Kultur, der Geborgenheit und der Verbundenheit. Die geistige Schaffenskraft erwächst aus dieser Bindung an Heimat. Heimat ist nicht eng, sondern weit. Heimat will begehrt, gestaltet und vererbt werden. Je mehr die Welt zusammen wächst, umso wichtiger ist die Heimat. Je stärker wir von weltweiten Entwicklungen betroffen werden, jeder einzelne von uns, desto wichtiger ist unsere Verwurzelung zu Hause. Die Welt steht uns offen. Aber gerade deswegen brauchen wir ein Zuhause. Unsere Heimat ist ein Teil der Welt. Sie ist etwas, was uns einen Platz in dieser Welt verschafft. Zur Entfaltung des Menschen, zum Gelingen des Lebens, der Gemeinschaft und des Staates gehören Mitmenschlichkeit, Sachgerechtigkeit und Verantwortungsbereitschaft, gehört das, wodurch sich Bürgerlichkeit auszeichnet: die Überzeugung, dass gleiche Rechte und faire Chancen der Schlüssel zur Gerechtigkeit, individueller Freiheit, Gemeinwohlverpflichtung, Weltoffenheit und Heimatverbundenheit keine Gegensätze sind.
LUMEN GENTIUM - CHRISTUS IST DAS LICHT DER VÖLKER: „Man muss auf die globale Dimension achten, um nicht in die alltägliche Kleinlichkeit zu fallen. Zugleich ist es nicht angebracht, das, was ortsgebunden ist und uns mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität bleiben lässt, aus dem Auge zu verlieren uns muss die lokale Dimension am Herzen liegen, denn sie besitzt etwas, was das Globale nicht hat: sie ist Sauerteig, sie bereichert, sie setzt subsidiäre Maßnahmen in Gang… Eine Offenheit, die ihr Wertvollstes preisgibt, ist nicht die Lösung. So wie es ohne persönliche Identität keinen Dialog mit anderen gibt, so gibt es auch keine Offenheit zwischen den Völkern ohne die Liebe zum eigenen Land und seinen Menschen sowie zu ihren jeweiligen kulturellen Eigenheiten. Außerdem ist dies Voraussetzung für einen gesunden und bereichernden Austausch. Die Erfahrung, an einem bestimmten Ort und in einer bestimmten Kultur zu leben, ist die Grundlage, die es ermöglicht, Aspekte der Wirklichkeit zu erfassen... Es ist notwendig, die Wurzeln in den fruchtbaren Boden zu senken und in die Geschichte des eigenen Ortes, die ein Geschenk Gottes ist. Man arbeitet im Kleinen, mit dem, was in der Nähe ist, jedoch mit einer weiteren Perspektive.“
HERMANN KROLL-SCHLÜTER, 2022